Zukunft braucht Herkunft
JUNG Gründervilla wird zum innovativen Kommunikationsort

Der einstige Wohnsitz des Firmengründers Albrecht Jung in Schalksmühle findet als Think Tank, Begegnungs- und Dienstleistungszentrum der Marke JUNG eine neue Bestimmung. Die Sanierung der historischen Villa aus dem Jahr 1928 und die Erweiterung um einen modernen Pavillon wurden von NGA Nehse & Gerstein Architekten BDA aus
Hannover als Sieger eines offenen Architekturwettbewerbs realisiert. Die JUNG Gründervilla ist kein Showroom. Sie ist ein multifunktionales Büro-, Veranstaltungs- und Wohngebäude, bei dessen Sanierung und Betrieb die Themen Verantwortung, Haltung und Effizienz eine wichtige Rolle spielen.
Das neue Gebäudekonzept von Philipp Nehse und Patrick Gerstein stärkt die Identität des Ortes, indem es die bestehende Villa freistellt und um einen modernen, in das Gelände eingebetteten Anbau ergänzt. Es werden neue Blickbezüge und Perspektiven generiert und die Gartenanlage aufgewertet. Die Gebäudetechnik des Ensembles setzt auf regenerative
Energien, auf einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und – anders als man es von einem Hersteller für Gebäudetechnik vermuten könnte – auf einen auf das Notwendige reduzierten Technikeinsatz.
Die Historie
Die Villa im typischen Gründerzeitstil wurde im Jahre 1928 von dem Architekten Fritz Stutzkeitski neben der damaligen JUNG Fertigung, die sich bislang in einem Gewächshaus befand, errichtet. Zeitgleich fand der Bau einer neuen Produktionsstätte am Fuße der Villa statt. Nachdem dieser fertiggestellt war, zog die Produktion in den Neubau und das Gewächshaus neben der Villa wurde rückgebaut. Seither thronte die Villa herrschaftlich auf einem Hügel über der Fertigungsstätte und diente der Familie Jung über drei Generationen als privater Wohnsitz. Die Produktion und Verwaltung von JUNG wurden Mitte der 1970er-Jahre einige Kilometer entfernt angesiedelt, die Villa blieb aber noch bis ins Jahr 2015 der Familienwohnsitz. Statt eines Verkaufs entschied sich Harald Jung mit den Gesellschaftern dafür, dem Gebäude zukünftig eine neue und moderne Nutzung zu geben, die auch ohne direkte räumliche Nachbarschaft zur Produktionsstätte eng mit dem Unternehmen JUNG verbunden sein sollte. Es entstand die Idee, einen neuen Ort der Kommunikation, des Miteinanders, der Begegnung zu schaffen.
Der Wettbewerb
Im Jahr 2017 wurde von JUNG ein offener Wettbewerb für Architekturbüros ausgelobt und von dem Wettbewerbskoordinationsbüro D&K drost consult GmbH professionell betreut. Der Wettbewerb richtete sich ausschließlich an junge Büros, deren Gründung nicht länger als fünf Jahre zurückliegen durfte. Damit gab das Unternehmen nicht nur Newcomern eine Chance, sondern öffnete sich auch unvoreingenommen für neue Ideen. Eine namhafte Jury bestehend aus Peter Cachola Schmal vom Deutschen Architekturmuseum sowie den Architektinnen und Architekten Sabine Keggenhoff, Jan Kleihues, Elke Reichel, Roger Riewe und Michael Schumacher durfte sich über 33 Einreichungen aus der D-A-CH-Region und den Benelux-Ländern freuen. Den ersten Preis vergaben die Preisrichter an NGA Nehse & Gerstein Architekten BDA für ihren
mutigen und trotzdem behutsamen Umgang mit dem Ort und dem Bestand. Der zweite Preis wurde doppelt besetzt und ging an Feyyaz Berber und Timo Steinmann für einen, wie die Jury titelte, vielschichtigen Ansatz sowie an Studio Yonder, dessen Entwurf das Attribut „raffiniert“ zugeschrieben wurde. Die Wettbewerbsaufgabe bestand darin, das Wohnhaus in ein Multifunktionsgebäude zu wandeln, das gleichermaßen als Büro-, Veranstaltungs-, Ausstellungs- und Wohngebäude funktioniert. Der Neubau sollte mit einer eigenständigen Architektursprache für den Schritt in die Zukunft stehen, gleichzeitig aber mit dem Bestand interagieren. Der Wettbewerbsbeitrag von NGA Nehse & Gerstein Architekten BDA war bereits so realitätsnah, dass das Bauvorhaben erstaunlich nah am Entwurf umgesetzt werden konnte.
© JUNG / Foto: Henrik Schipper
Die Villa und ihr Neubau
Im Rahmen der Sanierung wurde die Villa respektvoll für die zukünftige Nutzung umgebaut und größtenteils wieder in ihren historischen Originalzustand zurückversetzt. Veränderungen der letzten Jahrzehnte wurden rückgebaut und die ursprüngliche Fensteraufteilung erneut hergestellt. Durch die Hanglage konnte das ehemalige Kellergeschoss zum vollwertigen Stockwerk ausgebaut werden, in dem nun erstaunlich weitläufige Arbeitsräume angesiedelt sind. Die Innenarchitektur des Erdgeschosses wirkt mit hellen Holzböden, einem abgestimmten Farbkonzept und schlicht reduzierten Details sowie flächigen Möbeleinbauten zeitlos. Hier sind vor allem neue Empfangs- und Besprechungsräume angeordnet. Im Obergeschoss der Villa befinden sich weitere Büroräume, während im Dachgeschoss zwei Apartments angeordnet sind.
Eine Unterfangung des Kellergeschosses und das partielle Ergänzen eines neuen Geschosses ermöglichen den nahtlosen Anschluss des Neubaus an die Villa. Die Bodenplatte des Anbaus liegt fünfeinhalb Meter unter dem Erdgeschossniveau der Villa. Der schlichte Neubau, in dem sich die sogenannte Schalterhalle, ein großer Raum zur freien Nutzung, befindet, ist über eine skulpturale, mehrfach gekrümmte Stahltreppe mit dem Altbau verbunden. Der Neubau hebt sich gestalterisch mit Kassettendach, Sichtbeton und Glas deutlich von der Villa ab. Die Raumatmosphäre in der Schalterhalle wird maßgeblich durch die gestalterische Kraft von Konstruktion und Material bestimmt – lediglich eine große Stütze in Form einer umgedrehten Pyramide an der Ostseite des Veranstaltungsraums wirkt beliebig. Aber dem ist nicht so, sie trägt das schwere
Betondach und folgt in ihrer Form dem Kraftverlauf. Den Planern von NGA gelingt es, mit möglichst wenigen Mitteln und einer sehr klaren Architektursprache ein Gebäudeensemble zu schaffen, das nun ganz im Stil von JUNG sowohl die Vergangenheit
als auch die Zukunft im Blick hat.
Die Technik
Dass ein Hersteller wie JUNG modernste Technik verbaut, ist nicht verwunderlich. Natürlich ist die Gebäudetechnik smart und von Automatismen unterstützt, natürlich setzt das Beleuchtungskonzept auf Szenarien und Sensoren, natürlich sind Störmeldungen der Sanitärhebeanlage lokal und auch aus der Ferne per Smartphone empfangbar – um nur einige Beispiele aufzuzählen. Aber keine dieser Maßnahmen ist willkürlich oder aus Technikverliebtheit entstanden. Die JUNG Gründervilla und ihr neuer Anbau sind mit einer Luft-Wärmepumpe zum Heizen und Kühlen ausgestattet. Die Regelung der Heizung und Kühlung der einzelnen Räume erfolgt über KNX Raumthermostate. Zur Warmwasserbereitung
wurde zusätzlich eine Luft-Wasser-Wärmepumpe in Invertertechnik installiert. Die Belüftung der Villa erfolgt natürlich, lediglich ergänzt durch Abluftventilatoren in den WCs, Küchen und Bädern. Im Neubau mit Veranstaltungssaal wurde ein zentrales Kompaktlüftungsgerät mit Wärmerückgewinnung eingebaut. Die Lüftungsanlage ist über die Gebäudeautomation mit der Regelung der Wärmepumpe verbunden und kann auch manuell über die KNX Raumthermostate sowie über ein Control Panel gesteuert werden. Letztere kommen aus der hauseigenen Produktlinie, so wie natürlich die gesamte intelligente KNX Technologie von Alt- und Neubau. Ein Smart Visu Server steuert die Technik im Hintergrund.
Im Ensemble wurden 490 Einbaugeräte der Programme LS 990 und LS ZERO wie Steckdosen, F 40 Taster, LS TOUCH Raumcontroller, LAN-Dosen, USB-Ladegeräte, KNX Präsenzmelder, DAB+ Radios und eine KNX Wetterstation verbaut. Im Erdgeschoss der Villa mit den öffentlichen Funktionen kamen für Schalter, Steckdosen, Taster und Raumkontroller Farben aus der Reihe Les Couleurs® Le Corbusier zum Einsatz – entsprechend den Wandfarben im hellgrünen Besprechungsraum vert anglais pâle (32042), im grünen Kaminzimmer vert anglais clair (320412), im hellen Foyer und Treppenhaus blanc ivoire (4320B) sowie in der grauen Garderobe und Eingangshalle gris clair (32013). Die 300 Innen- und 200 Außenlichtpunkte werden über mehrere DALI-Gateways szenariengesteuert und sorgen – unterstützt durch Bewegungsmelder – für maximalen Lichtkomfort, Energieeffizienz und Sicherheit. Auf dem Dach der Villa wurden PV-Module nahezu unsichtbar installiert. Ein Batteriespeicher versorgt damit zwei Wallboxen zum Laden von Elektrofahrzeugen der Mitarbeiter/-innen und Besucher/-innen.
Die Zukunft
Der Umgang mit Technik ist für JUNG – vielleicht noch mehr als für andere Bauherren – immer auch eine emotionale Frage der Haltung. So war es für alle Beteiligten selbstverständlich, dass bei der Komplettsanierung und dem Teilneubau der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen sowohl beim Bau als auch im späteren Betrieb eine elementare Rolle spielt. Dies umfasst, dass Technik bewusst, sinnvoll und nur dort eingesetzt wird, wo sie notwendig ist. Jens Stoll, Leiter Produktmanagement bei JUNG und als Bauherrenvertreter verantwortlich für die technische Ausstattung der JUNG Gründervilla, erklärt: „Es ging nie darum, eine Leistungsschau des eigenen Produktportfolios abzubilden, sondern die langfristig beste und nachhaltigste Lösung zu finden.“ Im Laufe des Planungs- und Bauprozesses gab es immer wieder Diskussionen um die Definition der Parameter der Notwendigkeit. Dazu gehörte beispielsweise die Entscheidung, die KNX Technologie nicht nur im Neubau, sondern auch im Bestand einzusetzen. Denn trotz der zunächst aufwendigeren Installation der KNX Busleitungen in der historischen Villa bietet die intelligente Ausstattung für die zukunftsorientierte Multifunktionsnutzung im laufenden Betrieb langfristig viele Vorteile. Die Herausforderung für die Gebäudetechnik – für Heizung und Kühlung, Beleuchtung und Verschattung, Überwachung und Medientechnik – bestand darin, Lösungen zu finden, die sich flexibel an enorme Schwankungen der Nutzungsfrequenz im Gebäude anpassen lassen und gleichzeitig die ökologisch und ökonomisch beste Variante darstellen. Der KNX Standard macht dies möglich und bindet die intelligente Technik vieler verschiedener Hersteller reibungslos ein. Über vorprogrammierte Szenarien passt sich die Gebäudetechnik dem Bedarf an – als Veranstaltungsort, als Bürogebäude, als Wohnobjekt. Mal wird das Gebäude ein Ort der Konzentration und Ruhe sein, mal wird es von Leben erfüllt sein: Ein Ort der Begegnung, ein Kommunikationshub und Think Tank! Die Villa wurde nun offiziell ihrer neuen Bestimmung als Veranstaltungs- und Schulungsort zugeführt. JUNG freut sich darauf, die Geschichte des Ortes weiterzuschreiben.
Bauherr: Albrecht JUNG GmbH & Co. KG
Nutzung: Büro- und Ausstellungsgebäude
Fläche: Villa: 358,5m² + Neubau: 352,5 m² = 711m² (NGF)
Ort: Bergstraße 37, Schalksmühle
Jahr: 2017 – 2024 (Wettbewerb bis Fertigstellung)
Architektur: NGA Nehse & Gerstein Architekten BDA
Fachplanung (u.a.):
Tragwerksplanung: Kreutzfeldt Ingenieurbüro für Bauwesen
Prüfstatik: Klöker + Partner beratende Ingenieure mbH
Sichtbetonberatung: Lowke Schiessl Ingenieure GmbH
TGA: Ingenieurbüro Nordhorn GmbH & Co. KG
Energiekonzept: GadP Gebäude auf den Punkt GmbH
Ausführende Firmen (u.a.):
Gebäudetechnik Elektro, Sanitär, Heizung: Theissen Gebäudetechnik GmbH
Roh-/Sichtbetonbauarbeiten Neubau: Bauunternehmen Blume GmbH
Tischlerarbeiten: Pierenkemper Tischlerei, Möbelwerkstätten & Co. GmbH
Außenanlagen: Oliver Ochsenfarth Garten- und Landschaftsbau
Metallbau: Gertler GmbH, Braunholz Metallbau GmbH (Innentreppe)
Hersteller (u.a.):
Elektroinstallationsgeräte und KNX Bussystem: JUNG
Innenbeleuchtung: Artemide S.p.A
Außenbeleuchtung: ERCO GmbH
Fenster: Metallbau Burckhardt (Neubau), IP-Company (Villa)
Türbeschläge: FSB – Franz Schneider Brakel GmbH + Co. KG
Farben: Keimfarben GmbH
Möbel: Vitra, Fritz Hansen
Sprechanlage: S. Siedle & Söhne, Telefon- und Telegrafenwerke OHG