Ein Baumhaus in Ludwigsburg – Schlösslesfeld
Die bestehende Wohnfläche des kleinen Siedlungshauses aus den frühen fünfziger Jahren mußte erweitert werden. Ein soziales und städtebauliches Thema, das in Verbindung zum Ensembleschutz für den gesamten Straßenzug aus dieser Zeit zu beobachten und zu bewältigen ist. Die erweiterten Wohnhäuser entlang der Straße verloren durch die baulichen Eingriffe und Nachverdichtung an Qualität in Volumen und Fassade, gegenüber ihrer ursprünglichen Gebäudeproportion, Fassadeneinteilung und Authentizität.
Der Bebauungsplan lässt eine maximale Erweiterung um 4 Meter zu. Eine Erweiterung auf dem 6,5 Ar großen Grundstück wurde hanggeschossig in Richtung Norden in Form eines Solitärs entwickelt, um 2,50 Meter abgerückt vom Bestand und in den Bereich des Bauverbots gestellt. Klare Zuordnungen wurden definiert: während der Bestand im Erdgeschoß dem Familientreffpunkt und das Dachgeschoß den Kindern zugeordnet ist, wird der Anbau als Elternhaus genutzt.
Zum einen sollte der Bestand aus dem Jahre 1954 ablesbar bleiben und der Anbau als eigenständiges Bauwerk in Korrespondenz treten. Andererseits war die Einbeziehung der hangseitig um ein Geschoß versetzten Gartenebene wegen der schlechten Erreichbarkeit und dem bestehenden Verkehrsaufkommen ein Problem. Wie erreicht man die Umkehr, das scheinbar Negative ins Positive zu rücken? Wenn der Garten zu weit weg und der Verkehr zu laut ist, müssen andere Mittel gesucht werden, um den Bezug zur Natur herzustellen: ein Baumhaus. Das Wohnen über dem Garten, sollte den Aussenraum: Baumbestand sowie Landschaft einbeziehen.
Das Schaufenster ins Grün: ein Optimum an Aussicht – drinnen ist draussen ist drinnen – eine völlige Veränderung der Blickbeziehung. Eine neue, dritte Dimension des Gartens und die Krone des Walnußbaumes wurden ein wesentliches Entwurfsthema. Für das Gebäude selbst galt die vom Büro verfolgte empirische Suche nach der Verfremdung von Sehgewohnheiten, durch die Auflösung der proportionalen Vergleichbarkeit am Baukörper und im Fassadenbild.
Der Zugang zum Elternhaus erfolgt vom Familienraum des Erdgeschosses aus über einen sich im Querschnitt verjüngenden Steg. Durch diesen Trick wird der Blick zum Neubau optisch verlängert und dramatisiert; am Ende jedoch jäh gestoppt durch eine über alle drei Geschosse und von allen Seiten nutzbares zentrales Schrankelement aus schwarz eingefärbten MDF-Platten. Ein fliessender Raum, verstärkt durch einen einheitlichen Bodenbelag aus thermobehandelter Eiche, wendelt sich um die Treppen und die Zimmer empor und gibt unverhoffte Ausblicke und Durchblicke frei.
Im Obergeschoss liegt der Wohnraum. Hier gibt ein, die ganze Nordfassade einnehmendes Panoramafenster den ungehinderten Blick frei zum Neckartal. Das Fenster zieht wie eine Kinoleinwand sämtliche Stimmungen der Jahreszeiten in den Wohnraum hinein: das gleißende Licht der sengenden Sommerhitze, die leuchtenden Farben des herbstlichen Laubes, die drückende Stimmung regentrüber Novembertage oder die Mystik nebelverhangenem Geästes des Walnußbaumes, sowie die Ruhe der schneeverhüllten Landschaft. Am Abend zeichnen sich die Schatten der Bäume mittels Strassenlicht an den Wänden des Innenraumes ab. Im Mittelgeschoss folgt der Schlafraum und im Hanggeschoss befindet sich die Dusche mit Sauna und Ankleide. Mit zunehmender Privatheit der Räume reduziert sich der Anteil an Tageslicht.
Auf den Hanggeschosssockel aus Stahlbeton folgen zwei Geschosse in Dickholz-Tafelbauweise. Die Geschosshöhen und Deckenstärken basieren auf dem Modul von 22 cm. Dieses überhöhtes Steigungsmaß erhielt auch die Treppenanlage, um die Idee des Turmes zu verstärken. Die vorgehängte Fassade aus umlaufenden Kupferbänder in TECU-Classic, mit Bandhöhen 11, 22 und 33 cm, ist auf die Fensterprofile in schwarz lackiertem Aluminium und die Fassadenversprünge abgestimmt. Durch die verdeckten Wetterschenkel an den Gebäudeecken konnte das Kupfer offen bis an die Kanten geführt, stumpf gestoßen und auf eine sichtbares Eckprofil verzichtet werden. Unter Einbeziehung der Auskragungen und des Steges wird die Idee einer Skulptur vermittelt.
Während sich die Fassade aus den zwei Metallen unpatiniertem Kupfer und pulverbeschichtetem Aluminium zusammensetzt, dominieren im Inneren drei Baustoffe: die Wände und Decken in weißem Silikatanstrich, im Kontrast zu den schwarz eingefärbten MDF-Platten des Einbauschranks und den thermobehandelten Eichendielenbelägen an Treppe und Boden.
Außenanlagen
Der bisherige Garten war sehr stark höhengestaffelt, schlecht nutzbar und hatte völlig überalterte Spalierobstbäume. Mit der Baumaßnahme konnte die Höhenentwicklung auf einen Versatz reduziert und die zum Hauptaufenthaltsbereich zugeordnete Fläche nach Norden erweitert und eben gestaltet werden.
Sowohl das Bürgerbüro Bauen als auch der Bauausschuß waren von dem unkonventionellen städtebaulichen Entwurfsgedanken überzeugt und unterstützten das Konzept mit ihrer Genehmigung.
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Bauherr Christa Fentzloff | Ludwigsburg
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Architekten ARCHITEKTUR 109 | Mark Arnold + Arne Fentzloff | Ludwigsburg
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Tragwerk Weischede, Herrmann + Partner | Stuttgart
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Lichtplanung Büro für Lichtgestaltung | HP Beutelspacher | Stuttgart
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Fotografie Dietmar Strauß | Besigheim
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Fertigstellung 09/2005